Aggressivität auf den Straßen nimmt zu

Dauer-Baustellen, rücksichtslose Drängler und ellenlange Staus. Gerade im Sommer erhitzen sich die Gemüter auf deutschen Straßen. Im engen Verkehr nimmt keiner mehr Rücksicht auf den anderen. Da wird gedrängelt und aufgefahren, gerast und gehupt. Das Verkehrsklima in Deutschland ist rauer geworden. Viele Menschen stehen unter Zeitdruck und wollen vor allen anderen an ihrem Ziel ankommen. Einer Umfrage zufolge ist heute jeder Dritte aggressiv gestimmt unterwegs. Lichthupe, rechts auf der Fahrbahn überholen und das Missachten von durchzogenen Linien gehören im heutigen Verkehrschaos einfach dazu. Fast die Hälfte der Männer, ca. 45 % und mehr als ein Drittel der Frauen schätzt sich, laut der Umfrage, als “mindestens manchmal aggressiv” ein. Vor allem in der Gruppe der 20- bis 35 Jährigen gibt es hierbei Spitzenwerte von bis zu 60 %. Doch die meisten Autofahrer machen sich diesen Stress selbst, denn für Experten ist dies kein spezielles Verkehrsproblem.

Von den Emotionen geleitet

Nach Aussage des Unfallforschers Siegfried Brockmann, machen die meisten Menschen sich den Stress selbst. Laut Studie fahren vor allem Akademiker sehr rücksichtslos. Laut Brockmann sind dies meist Menschen, die gelernt haben sich durchsetzen zu müssen. Sie sehen die Straßen als eine Art Revier an, in dem sie sich durchsetzen müssen. Das Problem ist der knappe Verkehrsraum. Dadurch entsteht auf den Straßen ein Konkurrenz-Denken. Die wachsenden Konkurrenz empfinden immer mehr Verkehrsteilnehmer als unangenehm.

Keine Selbstkritik

Nach Brockmann ist jedoch Selbstkritik an sich, selbst Fehl am Platz. In der Umfrage gaben viele Menschen an, dass sie schon des Öfteren dreiste Fahrmanöver, wie das Vorbeiziehen an Kolonnen, beobachtet haben. Aber nur etwa 20 % gaben zu, sich auch schon einmal so rüpelhaft verhalten zu haben. Nach Brockmann leiden diese Autofahrer an einer falschen Selbstwahrnehmung und einem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten.

Zwei Gruppen gefährden den Verkehr

Statistisch gesehen bauen die meisten Crashs jene Autofahrer, die besonders rücksichtslos unterwegs sind. Diese werden auch viel öfter bestraft. Jedoch führen die Bestrafungen nicht zu einem weniger riskanten Fahrstil. Hierbei fehlt oft die Einsicht und der Glaube, gut zu fahren, ist immer größer. Psychologen sehen zwei extreme Gruppen, die wegen Stress den Verkehr gefährden. Die Einen fahren so ängstlich, dass sie durch ihr zögerliches Verhalten ein Risiko für andere Verkehrsteilnehmer sind. Die Anderen nutzen den Straßenverkehr gerne als Ventil zum Stress-Abbau. Die fühlen sich durch ihre Umwelt (Arbeitsplatz, Familie…) unter Druck gesetzt und wollen deshalb Stärke auf der Straße zeigen. Wenn es laut und rasant auf der Autobahn wird, dann spüren diese Autofahrer ihren Frust nicht mehr.

Handys sorgen für gefährliche Ablenkung

In der Umfrage gaben 80 % der Befragten an, niemals ohne Freisprechanlage zu telefonieren. Nur etwa 5 % gaben zu, dass sie während der Fahrt schon mit dem Handy telefoniert oder eine SMS geschrieben haben. Nach Meinung von Experten sind diese Ergebnisse wenig realistisch. Dies ist eher ein Effekt sozialer Erwünschtheit bei Befragungen. Auch die Empathie bleibt auf der Strecke. Viele Autofahrer nehmen sich nicht mehr die Zeit, sich in die Rolle eines anderen Verkehrsteilnehmers hineinzuversetzen.

Gesteigertes Aggressionspotenzial ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Auch die Polizei in Bayern konstantiert insgesamt ein gesteigertes Aggressionspotenzial. Dies zeige sich nicht nur im Straßenverkehr. Es handle sich vielmehr um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Jeder stelle seine eigenen individuellen Bedürfnisse in den Vordergrund. Das persönliche Vorankommen wird immer wichtiger und wenn es dabei Hindernisse gibt, müssen diese eben umfahren werden. Die angestaute Wut und Aggressionen würden sich dann im Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer widerspiegeln.

Preis für die individuelle Mobilität

Die deutschen Straßen sind voll und werden von Jahr zu Jahr immer voller. Heute kann sich fast jeder Bürger ein Auto leisten. Die Folge ist ein Verkehrsinfarkt. Von freier Fahrt kann hierbei nicht mehr die Rede sein. Doch was ist die Alternative. Öffentliche Verkehrsmittel? Busse stehen genauso im Dauer-Stau und nicht jeder will mit der Bahn unterwegs sein. Vielleicht sind ja selbstfahrende Autos die Lösung des Problems. In jedem Fall würde die Aggressivität gesenkt werden und Unfälle aus Frust und Wut würden der Vergangenheit angehören, denn das heutige Fahrverhalten kann aus Mangel an Selbstreflexion, durch den Einzelnen wohl nicht mehr geändert werden.